„Mr. Bill“ und das Bildungswesen (Teil 2)

Heute findet in mehr als 500 Städten der March for Science statt. Am Tag der Erde. Gewidmet ist die Demonstration Menschen, die für die Bedeutung der Wissenschaft als Erbe der Aufklärung eintreten und gegen Ignoranz, welche auch vor Staatspräsidenten nicht halt macht. Impfgegner, Kreationisten, Truther und Klimawandelskeptiker sind mit der Wissenschaft uneinig. Die Wissenschaft leidet an einem Imageverlust, schon wieder. Der Blick wandert ins Bildungssystem, wo wissenschaftliches Verständnis, kritisches Denken und Kreativität gelehrt werden soll.

Denn für gute Noten lohnt sich das Lernen…

Vorfreude auf den ersten Schultag. Als die „Großen“ den Kindergarten verließen und die Zeit nicht schnell genug herum war. Meine Mutter wies mich an, den Rücken gerade zu halten, nach vorne zu schauen und die Arme aufeinander zu legen. So liefe es mit der Konzentration besser. Ich freute mich auf Formeln wie aus dem Fernsehen. Endlich würde ich lesen und schreiben lernen.

Zweite Klasse. Langeweile. In den Pausen kein Bock zum Aufstehen. Den Hausaufgaben nur fünf Minuten gewidmet. Es zählte eh nur ein Halbjahr. So geht also Lernen? Wieder wurden die Ausflüge zum Highlight. Als ich in die Oberschule kam, war selbst das nicht mehr der Renner. Im Studium nur noch Notendruck. Hinauszugehen war einfach nicht mehr attraktiv für mich. Statt wie Mr. Bill seine Schüler mit seinem Lehrstoff zu bezaubern, erinnerte das Studium an schlechte Schultage.

Don’t stay in School“ war ein Video von boyindaband, das ich über die Fine Brothers fand. In einer kleinen Zusammenfassung fragte er sich, was wir uns wahrscheinlich alle gefragt haben: Wie kommt es, dass wir in der Schule nichts über Steuern lernen? Problematisch, weil ich mich daran erinnere, wie wir schon in der Grundschule den Lehrplan hinterfragten. Noch problematischer, wenn ich bedenke, dass sich das Schulsystem seit Jahrhunderten kaum geändert zu haben scheint.


v.l.n.r.: Periodensystem deutscher Städte des March for Science 2017 (© Science March auf flickr) und boyindaband (© davebiab.tumblr.com)

Dann soll auch noch der wissenschaftliche Nachwuchs vorbereitet werden. Ich bemühe mich nicht, Studien herauszusuchen. Ganz schön anti-wissenschaftlich. Allerdings geht der neuen Generation der Ruf voraus: Wissenslücken, digitale Demenz, ADHS, SJW. Hausaufgaben werden in der Schule gemacht. Rechnen kann keiner mehr. Kein Sitzenbleiben mehr. Allerdings sind die Zeiten der Segregation vorbei, beinahe. Die Selbstfindung passiert über digitale Medien, denn Zeit für Freizeit ist nicht mehr.

Sobald Tests angekündigt wurden, ging das alte Prozedere los. Warten, warten, auswendig lernen. Erst im zweiten Halbjahr gab ich mir Mühe. Leider gab es die interessanteren Themen scheinbar im ersten. Wenn schon nicht der Lehrstoff spannend war, hätten es doch die Noten herausreißen können. Wer aber ständig gute Noten bekam, wurde ausgelacht.

Gleichzeitig hieß es, die Noten seien nicht das wichtigste. Ich kann es teilweise beobachten. Viele der begabtesten unter meinen Mitschülern – wir sprechen von Einserkandidaten – folgten ihren Herzenswünschen. Sie wurden nicht die übergroßen Akademiker. Kein Jura, kein Mathe, kein Chemie. Stattdessen Musik, Kunst, Journalismus, die eigene Firma, eigene Wellnesskurse und natürlich die eigene Familie.

In anderen, seltenen Fällen wurden die gewissenhaften Schüler Opfer des Belohnungssystems, welches hinter den Schulnoten steckt. Wenn alles schief läuft, kann es mit Depression und auch mit Selbstmord enden. Eine Mitschülerin meiner Schule brachte sich um, weil sie nicht schlechter als 1 sein konnte. Die Eltern kannten sie nicht anders. Grob heruntergebrochen, versuchte sie alles, um ein Mal „schlechter“ zu sein. Es hat nicht geklappt. Diese Leute gibt es, die so gut sind, weil sie in das Schema passen.

Ein Schema namens unfreier Schüler. Man könnte ihnen mit dem Überspringen einer Klasse entgegen kommen, aber sie würden immer wieder auf die sensationellen Leistungen reduziert werden. Schließlich wird am Ende der beste Schüler ausgezeichnet. Nicht der netteste. Und als der Abiturient meiner Nachbarschule ein Abi von 0,75 hatte, wer hat ihn überhaupt gekannt?

Wer hochbegabt ist, muss sich sowieso selbst beschäftigen. Wenn er oder sie Glück hat, gibt es eine passende Schule. Seine bzw. ihre „Rolle“ einzunehmen und zu halten, bringt vielleicht etwas psychische Sicherheit. Bis es sich ändert. Ein anderer Schüler ging an eine Eliteuni in den USA. Er war nicht mehr der „schlaueste“ unter den Schülern. Grob heruntergebrochen. Er brachte sich auch um.

Kein Kind bleibt zurück..?

Was sollen dann erst „schlechte“ Schüler sagen? Oder um meinen alten Direktor während der Abiturfeier zu zitieren: „Nicht jeder hat das Problem, dass er knapp an einer 1,0 vorbeigeschrammt ist.“. Mr. Bill arbeitete mit den „Doppel-Ds“, den schwächsten am Stützpunkt. Er brachte ihnen Shakespeare bei. Er vergeude seine Zeit hieß es und dass, er sie auf das „Leben da draußen“ vorbereiten solle.

Wie es für seine Schüler weiter ging, verrät der Film nicht. Sozialschwache Menschen besitzen in der Regel nicht mehr als ihren Körper und ihre Familie. So erkläre ich mir auch, warum tanzen und singen unter armen Leuten so beliebt ist. Es war eine Einnahmemöglichkeit. Nicht zu vergessen, dass zum Beispiel Sinti, Roma, Travellers und Schwarze in den USA damit die Diskriminierung überlebten. Was den Kinderwunsch betrifft: Verhütung ist eine Sache und die vermeintliche Idylle eine andere. Manche bekommen Kinder auch, um nicht allein zu sein.

In Deutschland wird viel diskriminiert laut OECD. Wir leben in einem Land, das ein sogenanntes vertikales Bildungssystem anbietet. „Anbietet„, da es Alternativen gibt. Nach der Grundschule werden Schüler nach ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten getrennt. Die einen können etwas und die anderen eben nicht. Manchen Eltern kommt es nur gelegen, wenn sich die „Spreu vom Weizen trennt“ (Zitat eines Vaters). Die Spreu sortieren die Lehrer aus. Anhand der Noten, des Betragens und der familiären Situation. Ihr erinnert euch doch sicher noch an die Hauptschulen?

Meine türkische Kollegin (52) musste in eine türkische Klasse gehen, in Deutschland. Dort sollte sie türkische Kinderlieder lernen, obwohl sie hier geboren und aufgewachsen ist. Ein Bekannter (35) kam gegen Ende der Grundschule nach Deutschland und konnte kein Deutsch. Durch die Sprachbarriere und die ganzen Änderungen konnte er sich nicht gut konzentrieren. Er landete auf der Sonderschule. Es geht auch anders. Lehrer neigen trotz besseren Wissens dazu, Schülern aus gutem Hause bessere Noten zu geben. Hinzu kommt, dass Mädchen tendenziell aufgrund ihres Verhaltens besser bewertet werden.

Andersherum geht es auch. Eltern, die ihre Kinder schulisch nicht fördern oder nicht fördern können. Dazu gibt es aber die Schule. Es soll ausgleichen. Eine positive Entwicklung, die ich sehe ist, dass das Lernen lernen unterrichtet wird. Früher als bei mir in der 11. Klasse. Das heißt, wir wurden bereits gesiezt und sollten lernen, wie man Texte liest und Fakten behält.

Der Zauberlehrling und des Erlkönigs tanzende Töchter…

Fragt sich noch immer: Was lernen wir die ganze Zeit? Ich habe viel mit Künstlern zu tun und kann nicht behaupten, dass Kunst keine Aufmerksamkeit verdient. Sport war auch besser als ich geahnt habe. Wenn man sich heute über die Herkunft des Twerkens und die Angebrachtheit einer Pepsi-Werbung streitet, wäre Geschichte vielleicht auch nicht schlecht. Ein Einkauf bei Primark zeigt mir, dass Chemiekenntnisse auch nicht zu verübeln sind. Noch einmal zu den Steuern: Wie funktioniert das?

Mr. Bill (Danny DeVito) liest Private Haywood (Mark Wahlberg) aus „Hamlet“ vor. | © Mr. Bill (1994) auf Kino.de

Wenn der Werbefachmann Mr. Bill Soldaten Shakespeare beibringen kann, warum dann nicht auch die Schulen? Brauchen wir Shakespeare im Alltag? Kennen alle Familien Shakespeare überhaupt? Binomische Formeln habe ich zuletzt bei der Hausaufgabenhilfe für eine 15-jährige verwendet. Ich habe in Mathe nicht viel kapiert, aber ich habe das behalten. Ich war jedoch schon immer ein guter Auswendiglerner. Eher nicht so der Blicker, auch wenn andere mir das nicht glauben. Mein Studium bestand aus Referaten, Hausarbeiten und Tests. Somit hätte ich bereits das 1/3 bestanden.

Nicht jeder kann gut auswendig lernen. Das soll auch nicht sein, was das Kultusministerium uns auf den Weg mitgeben möchte. Vielmehr, um auf den March for Science zurückzukommen, sollten es sein: kritisches Denken, effiziente Analyse, Erkenntnisphilosophie und Kreativität. Dass Wissenschaft nicht diskriminieren kann, sondern Menschen. Dass jedes Ergebnis viele Studien braucht, um anerkannt zu werden. Dass es in der Wissenschaft keine Beweise gibt, sondern „nur“ Tendenzen, die schwer abzustreiten sind. Dass wir Dinge überprüfen sollten, bevor wir sie glauben. Und besonders, dass wir nie aufhören, zu hinterfragen.

Es gibt Versuche, Kinder ihren Lehrstoff selbst wählen zu lassen. Damit hätte sich vielleicht auch das Problem mit dem Pauken geklärt. Denn wer sich selbst für etwas interessiert, wird sich im Sinne der intrinsischen Motivation auch gerne damit beschäftigen. Mein Bruder war immer an Fahrzeugen interessiert. Mit 8 fuhr er in einer Fahrsimulation und wollte Busfahrer werden. Er spielte stundenlang Super Mario Kart und als er das Geld zusammen hatte, machte er sofort den Führerschein. Zu schade, dass Auto fahren nicht auf seinem Zeugnis stand. Es hätte ihm viel genützt.

Spaß am Wissen. Das ist, was begeisterte Lehrer an ihrer Fächerkombination reizt. Sie wollen anderen die schönen Seiten ihrer Fächer zeigen. Das ist auch, was Wissenschaftler an ihren Gebieten reizt. Es ist bei jedem von uns zu sehen, der eine Freizeitbeschäftigung hat, die ihm gefällt und zu ihm passt.

Wie wir sehen, kann Wissen auf verschiedene Weisen unterrichtet werden. So bescheuert ich Whiteboards finde, kenne ich doch die Effekte von Animationen und Filmen. Interaktive Medien wie Videospiele sollten viel mehr im Unterricht genutzt werden. Ich habe mit „Patrizier“ und „Anno“ teilweise mehr gelernt als in Geschichte. Damals habe ich am PC Schwedischtrainer über 10 Tage lang genutzt. Nach 10 Jahren kann ich noch erstaunlich viele Vokabeln und ich benutze kein Schwedisch. Selbst Youtubekanäle wie JustKiddingNews, wo Angehörige von Minderheiten aus ihrer Perspektive sprechen. Auch wenn sie Fakten nicht sehr genau präsentieren, sind die Perspektiven und Persönlichkeiten der Mitglieder anregend.

Es hat sich ausgepaukt…
a|fiction|esse

Teil 1: „Mr. Bill „(1994) und das Bildungswesen

Teil 3: „Mr. Bill „(1994) und das Bildungswesen

5 Gedanken zu “„Mr. Bill“ und das Bildungswesen (Teil 2)

  1. Warum Whiteboards (denke an elektronische ) bescheuert sein sollen, verstehe ich nicht. Ansonsten finde ich die Überlegungen sehr interessant.

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    • Danke. Ja, ich meine die elektronischen. Als diese allmählich eingeführt wurden, war meine Schulzeit bereits vorbei. Ich kenne einige Funktionen und weiß, dass sie sehr praktisch sind bzw. einige weitere Geräte überflüssig für die Anschaffung machen.

      Meine Erfahrung ist jedoch, dass ältere Lehrer mit neuer Technik überfordert sind und nicht das Potential genutzt wird, was das Gerät hergibt. So wie viele Leute ihr Handy oder ihren Computer für nur wenige Funktionen nutzen. Sich dann viele Whiteboards anzuschaffen und eventuell alte Geräte wie OH-Projektoren wegzuschmeißen, finde ich nicht gut.
      Stattdessen sollte man dafür sorgen, dass jeder Schüler einen eigenen Computer bekommt und dass sich die Schüler teilweise selbst aneignen, wie sie das Wissen aufnehmen oder präsentieren möchten.

      (Es muss auch nicht immer eine Power Point-Präsentation sein. Dies soll keine Werbung für MS-Produkte sein.)

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      • Habe selbst 5 Jahre lang mit diesen Boards gearbeitet und sie voll ausgereizt. Die Schüler haben selbst viel daran gearbeitet, oft saß ich als Lehrer hinten und vorne agierten 3 – 4 Schüler am Board. Gerade vor allem die jüngeren Kollegen waren skeptisch und wollten lieber bei der bewährten Tafel bleiben.

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      • Bei dir war es dann andersherum. Ich kann verstehen, was an den alten Tafeln reizt. seit etwa einem halben Jahr spiele ich viel online, vor allem wenn der Stress wieder hochgeht. Alles, was elektronisch ist, lenkt mich ab. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich genieße die Zeit im Wald oder wenn ich im Büro eine weiße Wand habe und am PC nur Tippen kann.

        Junge Lehrer sind wahrscheinlich zu ehrgeizig und darum enttäuscht, wenn die Kinder nach der Stunde nicht etwas „gelernt“ haben. Schließlich bereitet man es vor und ist dafür verantwortlich, dass die Bälger etwas begreifen. Hinzu kommt, dass Kinder aus meiner Sicht erstmal medial „nur“ spielen statt sich mit den Inhalten zu beschäftigen.

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